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Bundesarbeitsgericht (BAG): Hinweispflicht für Verjährung und Verfall von Urlaub

Mit zwei aktuellen Urteilen (9 AZR 245/19 und 9 AZR 266/20) hat das BAG nun die Hinweispflicht für Arbeitgeber gegenüber Arbeitnehmern und deren Auswirkung weiter verschärft.

So unterliegt der gesetzliche Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub zwar der gesetzlichen Verjährung (3 Jahre ab Ende des jeweiligen Jahres). Allerdings beginnt die dreijährige Verjährungsfrist erst am Ende des Kalenderjahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat. 9 AZR 266/20

Der Anspruch auf gesetzlichen Mindesturlaub aus einem Urlaubsjahr, in dem der Arbeitnehmer tatsächlich gearbeitet hat, bevor er aus gesundheitlichen Gründen an der Inanspruchnahme seines Urlaubs gehindert war, erlischt regelmäßig nur dann nach Ablauf eines Übertragungszeitraums von 15 Monaten, wenn der Arbeitgeber ihn rechtzeitig in die Lage versetzt hat, seinen Urlaub in Anspruch zu nehmen. Dies folgt aus einer richtlinienkonformen Auslegung des § 7 Abs. 1 und Abs. 3 BUrlG. 9 AZR 245/19

Arbeitszeiterfassung im Lichte der aktuellen Rechtsprechung

Am 13.09.2022 hat das Bundesarbeitsgericht entschieden:

Arbeitgeber sind nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet, Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer zu erfassen, für die der Gesetzgeber nicht auf der Grundlage von Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG (juris: EGRL 88/2003) eine von den Vorgaben in Art. 3, 5 und 6 Buchst. b dieser Richtlinie abweichende Regelung getroffen hat.

Nun liegen hierzu auch die Entscheidungsgründe vor: 1 ABR 22/21

Für große Unsicherheit sorgt seit der Entscheidung die Frage, ob damit die Vertrauensarbeit ein Ende gefunden hat.

Dies ist nach meiner Meinung bei Weitem nicht der Fall.

Sicher ist, dass auch in Fällen der Vertrauensarbeit eine Arbeitszeiterfassung von Seiten des Bundesarbeitsgerichts erwartet wird.

Der „Knackpunkt“ in der gesamten Angelegenheit ist die Frage, inwieweit die Arbeitgeber diese Erfassungsverpflichtung an die Arbeitnehmer weiterdelegieren können. Nach meinem Kenntnisstand sieht das Bundesarbeitsgericht eine derartige Delegation durchaus vor.

Insoweit dürfte die (weitgehend) freie Einteilung der Arbeitszeit durch die Arbeitnehmer auch weiterhin möglich sein.

Verändert hat sich eigentlich nur, dass Vertrauensarbeitszeit eben nicht mehr bedeutet, dass die Arbeitszeit nicht aufgezeichnet werden muss. Ob das Ganze dann auf Papier oder elektronisch (beispielsweise via App oder in einer Excel-Tabelle) zu erfolgen hat, dürfte den jeweiligen Arbeitgebern überlassen bleiben. Maßgeblich dürfte nur sein, dass die Dokumentation auch objektiv, verlässlich und nachprüfbar/zugänglich sein muss. Dies hat im Übrigen der Europäische Gerichtshof schon vor ca. 3 Jahren so entschieden….

Zu beachten ist allerdings, dass gewisse Angaben von beispielsweise „8 Stunden gearbeitet und 30 Minuten Pause“ nicht genügen. Es ist die Lage, der Beginn und das Ende sowie die genauen Pausenzeiten zu erfassen. Dies kann nach einhelliger Meinung aller aber in einem „Modell“ geschehen, das der Arbeitgeber auswählt. So findet sich beispielsweise in einigen Unternehmen die sogenannte „Pen and Paper“ – Lösung, wonach die Mitarbeiter tatsächlich mit Stift und Papier ihre Arbeitszeiten (und eben auch die genaue Verteilung) aufzeichnen und die Aufzeichnungen dann dem Arbeitgeber zur Kontrolle übermitteln. Bessere Alternativen könnten Tabellen in Text- oder Kalkulationsprogrammen sein.

Bundesarbeitsgericht: Berücksichtigung der Rentennähe bei der sozialen Auswahl

In einem neuen Urteil (8. Dezember 2022 – 6 AZR 31/22 ) bezieht das BAG hierzu Stellung:

Bei einer betriebsbedingten Kündigung hat die Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers anhand der in § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG bzw. § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO genannten Kriterien zu erfolgen. Bei der Gewichtung des Lebensalters kann hierbei zu Lasten des Arbeitnehmers berücksichtigt werden, dass er bereits eine (vorgezogene) Rente wegen Alters abschlagsfrei bezieht. Das Gleiche gilt, wenn der Arbeitnehmer rentennah ist, weil er eine solche abschlagsfreie Rente oder die Regelaltersrente spätestens innerhalb von zwei Jahren nach dem in Aussicht genommenen Ende des Arbeitsverhältnisses beziehen kann. Lediglich eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen darf insoweit nicht berücksichtigt werden. 6 AZR 31/22 

Wichtig: Überprüfung der Arbeitsverträge

Ab dem 1. August 2022 gilt das neue Nachweisgesetz.
Soweit bisher Arbeitgeber „nur“ verpflichtet waren, wesentliche Bedingungen binnen eines Monats nach dem vereinbarten Beginn des Arbeitsverhältnisses schriftlich niederzulegen, so haben sich die gesetzlichen Vorgaben nun deutlich verschärft.

Zum einen sind ergänzende angaben (z.B. zum Verfahren gegen Kündigungen aufzunehmen).

Zum anderen sind die Fristen deutlich verkürzt worden. Im Einzelnen ist nun niederzulegen, zu unterzeichnen und den Arbeitnehmer:innen auszuhändigen:

Spätestens am ersten Tag der Arbeitsleistung:  Name und Anschrift der Vertragsparteien, Angaben zum Arbeitsentgelt und zur Arbeitszeit (§ 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 7 und 8 NachwG)

Spätestens am siebten Kalendertag nach dem Beginn des Arbeitsverhältnisses: Insbesondere Zeitpunkt des Beginns, Angaben zur Befristung, zum Arbeitsort, Beschreibung der Tätigkeit, Dauer einer Probezeit (§ 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 bis 6, 9 und 10 NachwG

Spätestens einen Monat nach Beginn des Arbeitsverhältnisses: Die übrigen notwendigen Angaben nach dem Nachweisgesetz (§ 2 Abs. 1 Satz 2 NachwG)

Beachten Sie, dass hier Bußgelder bis zu 2.000,00 Euro vorgesehen sind.

Für Altverträge (vor dem 1. August 2022 geschlossen) sind Anpassungen grundsätzlich zwar nur nach Aufforderungen durch die Arbeitnehmer:innen vorzunehmen, dennoch sollten die Verträge zur Absicherung aktualisiert werden